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Artikulierter Bürgerwillen
oder Protest-Folklore?

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

ein Verkehrsprojekt erhält zurzeit große Medien-Aufmerksamkeit: Seit mehreren Wochen schon bekommen wir immer wieder dramatische Bilder von Demonstrationen in Stuttgart zu sehen. Manche glauben darin artikulierten Bürgerwillen zu erkennen, andere sprechen von Protest-Folklore.

Ohne Frage darf bei der Planung und Vorbereitung eines derartigen Großprojekts die betroffene Bevölkerung nicht ausgeschlossen werden; es ist legitim, hier Bürgerbeteiligung zu verlangen. Bereits 1994 wurden erste Pläne für die Neugestaltung des Stuttgarter Bahnhofs veröffentlicht. Es kam zu den gesetzlich gut geregelten Planungsverfahren. Letztlich wurde die Entscheidung von gewählten Volksvertretern und rechtmäßig agierenden Verantwortlichen der beteiligten Unternehmen getroffen.

Dennoch rufen nicht nur organisierte Gegner von Stuttgart 21 gerade jetzt nach Bürgerbeteiligung. Selbst Liberale fordern Bürgerentscheide über Projekte wie Stuttgart 21, so etwa der FDP-Verband Rheinland-Pfalz. Sollen jetzt die Bürger entscheiden: Im konkreten Fall die Bürger Stuttgarts, in deren Stadt der Bahnhof gebaut werden soll, oder sollten nicht besser die Interessen aller Reisenden einbezogen werden, die mit der Bahn auf der Strecke zwischen Paris über München und Bratislava bis nach Budapest unterwegs sind?

Es hat sich bewährt, wenn politische Entscheidungen, deren Auswirkungen weit über die lokale Ebene hinausgehen, mit einer gewissen Distanz getroffen werden - darum schätzen wir die Vorteile der repräsentativen Demokratie. Dass Bürger bei politischen Entscheidungen mitgenommen werden müssen, dass Einwände gehört und berücksichtigt werden müssen, steht nicht in Frage. Deshalb sollte nun vernünftige und sachgerechte Kommunikation Vorrang haben vor der Verbreitung populärer Forderungen und vor populistischer Protest-Folklore.


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