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Sibylle Laurischk:
Familien stärken, Misshandlungen vorbeugen

 

Aufgrund aktueller Entwicklungen hat die Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker Baden-Württemberg das Thema "Kinderschutz und Kindesvernachlässigung" aufgegriffen. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Sibylle Laurischk hat sich nicht nur durch ihre Arbeit im Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend intensiv mit der Problematik befasst, sondern sie kennt auch die Vorgänge vor Ort. Mit Frau Laurischk sprach Dr. Michael Büssemaker.

 

Büssemaker:
Frau Laurischk, Sie haben Ende 2007 in Ihrem Wahlkreis, dem Ortenaukreis, den Bericht über eine Kindesvernachlässigung aufgegriffen und die Arbeitsweise des Kreisjugendamtes hinterfragt. Verfolgt man bundesweit die Berichterstattung über Kindesmisshandlungen, erscheint der Fall aus dem Ortenaukreis verhältnismäßig harmlos zu sein. Wo liegt bei Ihnen die Nahtstelle von Kindeserziehung zu Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung?

Laurischk:
Die Nahtstelle lässt sich nicht scharf abgrenzen. Die Familien haben durchaus unterschiedliche Auffassungen, wie ein Kind behütet und versorgt werden muss. Allerdings besteht nach meinem Dafürhalten kein großer Unterschied zwischen Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung. Die Vernachlässigung ist eher das Nichtversorgen und Nichtkümmern, während die Kindesmisshandlung das aktive Schädigen des Kindes durch Schläge und Ähnliches ist. In beiden Fällen werden aber die Kinder geschädigt. Wenn dies auffällt, ist ein Eingreifen mit konkreter Hilfe - die gesetzlich vorgesehen ist - erforderlich. Wenn Eltern diese Schädigung des Kindes überhaupt nicht erfassen, kommt auch die Herausnahme des Kindes aus der Familie in Betracht.

Büssemaker:
Der Deutsche Bundestag ist in Fällen der Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung doch sehr weit vom Geschehen entfernt. Welche Möglichkeiten haben der Deutsche Bundestag und das zuständige Bundesministerium, vor Ort gegensteuernd einzuwirken?

Laurischk:
Wir Abgeordnete, gerade die Mitglieder des Familienausschusses, müssen uns mit Fragen der Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung auch konkret befassen. Dies geschieht z.B. durch Anhörungen. So wurde beispielsweise zum "Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls" eine Anhörung vor der Kinderkommission des Bundestages abgehalten, die Fachleute zu Wort kommen ließ. Das hat mich motiviert, das Thema häusliche Gewalt im Rahmen von familiengerichtlichen Verfahren auch in die Bundesgesetzgebung einfließen zu lassen, was letztendlich auch das Bundesjustizministerium überzeugt hat.

Büssemaker:
Sprechen wir einmal über die örtlich tätigen Jugendämter. Einerseits schlagen die Jugendämter vielerorts selbst Alarm, sie seien unterbesetzt. Andererseits deckt die Presse in schwerwiegenden Einzelfällen auch Versäumnisse der Behörden auf, etwa Verharmlosung erster Anzeigen oder fehlende Kontrolle bei aktenkundigen Fällen. Wie sehen Sie die Situation?

Laurischk:
Das Problem ist, nach meinen Rücksprachen mit verschiedensten Dezernenten in baden-württembergischen Landkreisen, dass es weniger eine Frage der personellen Unterbesetzung von Jugendämtern ist, als auch eine Frage der Qualifikation. Langjährige Mitarbeiter in den Jugendämtern suchen offenbar immer wieder auch andere Aufgaben, da die ausschließliche Arbeit im Jugendamt sehr belastend ist. Jungen Mitarbeitern fehlt wiederum die Erfahrung, um die Brisanz einzelner Fälle sofort zu erfassen. Ich glaube, dass die Arbeit der Jugendämter in der Öffentlichkeit transparenter dargestellt werden muss und auch die Qualifikation der Mitarbeiter ein Thema sein muss.

Büssemaker:
Wenige Fälle von Kindesvernachlässigung oder Kindesmisshandlung kommen an die Öffentlichkeit. Die meisten Fälle liegen in einer Grauzone, unentdeckt durch schweigende Familien und ein wegschauendes Umfeld. Wie kommt man, etwa als Kommunalpolitiker, nach Ihrer Auffassung an diese Grauzone heran?

Laurischk:
Kommunalpolitiker sind häufig Menschen, die aus einer gesellschaftlichen Kompetenz heraus in den Stadtrat oder Kreistag gewählt werden. Sie müssen, gerade wenn sie in den sozialpolitischen Ausschüssen arbeiten, Ansprechpartner für einzelne Bürgerinnen und Bürger sein. Sie müssen auch ein offenes Ohr für problematische Entwicklungen in einzelnen Stadtteilen haben und dies unerschrocken ansprechen. Ich selbst habe aufgrund meiner Tätigkeit als Anwältin immer wieder Problemfälle geschildert bekommen und gehe sie an.

Büssemaker:
Die Abschlussfrage betrifft Ihr eigenes, liberales Maßnahmenprogramm, um Kinder in Zukunft besser zu schützen: Wie sieht es aus?

Laurischk:
Mein liberales Maßnahmenprogramm geht nicht davon aus, dass wir mehr staatliche Eingriffsmöglichkeiten brauchen. Gerade die jüngste Erfahrung mit der Herausnahme eines Kindes aus der Familie durch das Jugendamt, die damit endete, dass gutachterlicherseits eine sofortige Zurückführung des Kindes in die Familie empfohlen wurde, zeigt mir, dass angesichts der öffentlichen Diskussion Jugendämter sogar überreagieren können. Ich glaube vielmehr, dass die Unterstützung der familiären Situation durch das Modell der Familienhebamme, die ganz jungen Eltern zur Seite steht und durch Familienhelfer, die in Problemfamilien unterstützend wirken, eine wichtige Möglichkeit sind, Kinder zu schützen.

Mein Einsatz für die seinerzeit von Elly Heuss-Knapp geschaffenen Mutter-Kind-Kuren hat auch den Sinn, überlasteten Müttern eine Erholung zu bieten, die sie für die Belastung der Familienarbeit stärkt. Diese Maßnahmen stehen im Übrigen auch den Vätern offen. Eine Bandbreite von Kinderbetreuungseinrichtungen, die diese Versorgung bieten, falls es Eltern nicht alleine schaffen, gehört mittlerweile in jede Kommune. Die Großfamilie, die alle Wechselfälle des Lebens auffangen kann, ist nur noch selten Realität. Die Familie bleibt der wichtigste Bezugspunkt für die Entwicklung der Kinder. Sie zu stärken sollte unser liberales Maßnahmenprogramm sein.


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